Beschrijving
“Musik ist eine reine Gabe Gottes”
Martin Luther
In der lutherischen Tradition hat es immer viel Raum gegeben für Gesang und Musik: für einstimmigen Gemeindesang und mehrstimmigen Chorgesang und für Orgelspiel (Choralbearbeitungen). Der Organist und Komponist Franz Tunder (1614-1667) war ein überzeugter Lutheraner und ein leidenschaftlicher Musiker, eine ausgezeichnete Kombination Sein PRAELUDIUM steht in g-Moll, die Tonart, die Mattheson später umschreiben sollte als die “fast allerschönste, weil sie gekennzeichnet wird durch eine ungemeine Eleganz und Anmut”. Das Musikstück wird zum Stylus phantasticus gerechnet, einer freien Kompositionsart, die vor allem spannend, spontan und strahlend ist. Der letzte Akkord geht nahtlos über in die Anfangstöne des Adventsliedes NUN KOMM DER HEIDEN HEILAND. Dies ist eines der ältesten überlieferten Lieder von Martin Luther. Er übersetzte das Lied Veni, redemptor genitum (Ambrosius von Mailand, 339-397) aus dem Lateinischen und hielt dabei die alte Ambrosianische Melodie fest. Dieses neue Lied wurde jahrhundertelang das Lied, mit dem die Adventszeit und damit das Kirchenjahr eingeläutet wurden. Die doppelchörige Motette von Michael Praetorius (1571-1621) erhält einen besonderen Klang, dadurch daß der erste Chor mit Sopran, 4 Viole da Gamba und Orgelpositiv besetzt wird und der zweite Chor mit acht Sängern (SATB), Zink und Kirchenorgel. Die Motette wird gefolgt von einer Choralbearbeitung (Anonymus, Tabulatur Ratsbüchlein von Lüneburg, 1650) an der Kirchenorgel und dann fünf Strophen in einer Vertonung von wieder Michael Praetorius. Der etwas jüngere Zeitgenosse von Praetorius, Heinrich Schütz (1585-1672), hat sich auf dem Gebiet der Kirchenmusik als einer der wichtigsten lutherischen Komponisten des 17. Jahrhunderts erwiesen. Schütz schrieb in sehr unterschiedlichen Stilen, aber in all seinen Kompositionen stehen die Bedeutung und Formgebung des Textes immer im Mittelpunkt. Das ist auch der Fall beim wunderschönen O JESU NOMEN DULCE (SWV 308), aus dem zweiten Band Kleine Geistliche Konzerte (1639). Eine kleine Kostbarkeit über den Namen Jesu, nach einem mystischen Gebetsgesang von Bernhard von Clairvaux (1090-1153): süß wie Honig auf den Lippen, wie eine schöne Melodie in den Ohren, so zart und angenehm wurde dieses Lied vertont. Ein wohltätiger Ruhemoment, in dem das liebevolle Zusammenspiel von Text und Musik völlig zum Ausdruck kommt. In der mittelalterlichen Mystik wurde gesucht nach dem Einswerden mit Gott durch totale Übergabe. Die Texte versuchen in Worte zu fassen was eigentlich nicht gesagt werden kann. In diesem Hinblick ähneln mystische Texte und Poesie sich. Vom deutschen Mystiker Heinrich Seuse (1295-1366), der “Diener der ewigen Weisheit” genannt wurde, stammt der bemerkenswerte Text von IN DULCI JUBILO . Er ist eine außerordentliche Kombination vom Lateinischen und (mittelalterlichen) Deutschen. Michael Praetorius schrieb über diesen fröhlichen und gewandten Text eine doppelchörige Motette, die hier von einem instrumentalen und einem vokalen “Chor” ausgeführt wird. Nach der Motette folgen zwei Strophen des Liedes in einer Vertonung von Bartholomäus Gesius (1562-1613). Gegenüber der Transzendenz der Mystik kennen wir im 17. Jahrhundert auch die Allegorie, einen Text, der eine tiefere Bedeutung verkörpert. Ein schönes Beispiel davon ist MARIA DURCH EIN DORNWALD GING (anonymus/F. Wakelkamp *1968), ursprünglich ein Pilgerlied, das mündlich überliefert wurde. Die genaue Entstehungsgeschichte von Text und Melodie kann man nicht genau ausfindig machen, aber das Lied soll im 16. Jahrhundert weitverbreitet gewesen sein. Es handelt von einem Spaziergang von Maria mit dem Kind unter ihrem Herzen, wobei wir denken können an den Besuch von Maria an ihre Kusine Elisabeth. Hintergund ist ein Wald voller Dornbüsche, Symbol für Unfruchtbarkeit und Tod. Aber dann, wenn Maria durch den Wald spaziert, entfaltet alles sich zu voller Blüte und letzendlich “haben die Dornen Rosen getragen”. Die Melodie ist genau so süß wie einfach und von einer überwältigenden Schönheit. Frank Wakelkamp schrieb zu diesem alten Lied verschiedene Motive für 4 Violen da gamba und Rahmentrommel im Stil des 17. Jahrhunderts. Man hört in der Musik, daß Maria sich nähert, durch den Wald geht und wieder verschwindet. Der Text des lateinischen PUER NATUS IN BETHLEHEM ist vormittelalterlich und erschien Mitte des 16. Jahrhunderts auf Deutsch mit dazu einer neuen Melodie, die wir zum ersten Mal antreffen in der Psalmodia von Lucas Lossius (1553). Michael Praetorius fertigte eine interessante Bearbeitung für seine Christmette an, eine Sammlung von Advents- und Weihnachtsbearbeitungen für die Christnacht. Praetorius dachte stark nach über Tempo und Puls, die zusammen ein wichtiges Element in der Musik darstellen. Denn wenn die Musik zu schnell oder zu langsam ausgeführt wird, dann kann sie viel von ihrem Charakter und von ihrer Schönheit verlieren. Praetorius nennt (in seinem Traktat Syntagma Musicum III,1619) oft den “ruhigen Puls’ als Referenz. Er fügt dem wohl hinzu: “Es kan aber ein jeder den Sachen selbsten nachdencken”. Es ist aber so, daß gerade bei der Wahl für diesen “ruhigen Puls” die Harmonie viel stärker betont wird und alles einen ganz natürlichen Ablauf erhält. Das rhetorische Trikolon “Singet, jubilieret, triumphieret” ist eine farbenreiche und frohe Bestätigung der Strophen, die im Grunde die Erzählung der Weihnachtsgeschichte bilden. Auch hier kommt die Zahl Drei immer nach vorne und dieser rhetorischen Stilfigur entsprechend hören wir in den Soloteilen keine zwei, sondern drei Sopranstimmen, die einander immer wieder abwechseln und bestätigen. Die Motette wird unterbrochen von zwei Strophen im deutschen Text (vertont von einem anonymen Komponisten) durch den Chor und abgeschlossen mit einem Orgelpräludium (d.i. eine der Variationen über Puer Natus von Paulus Siefert (1568-1666) aus den Lynar-Tabulaturen) und drei Strophen für die Gemeinde. Paulus Siefert kam aus Danzig (Polen), studierte in Amsterdam, aber kehrte zurück nach Warschau, um am Hof des Königs zu arbeiten. Polen und auch Böhmen waren eng mit Deutschland verbunden durch Politik, Handel und Religion. Alberik Mazák (1609-1661), ein Landsmann von Paulus Siefert, wuchs auf in Ratibor, einem kleinen Herzogtum auf der Grenze von Schlesien und Preußen, das unter der Herrschaft des böhmischen Königs stand. Er wurde Mönch und Chorleiter in einem Kloster in Wien, wo er Musikstücke für den klösterlichen Gebrauch schrieb. Viele von seinen Kompositionen gerieten in ein erzbischöfliches Archiv in der tschechischen Stadt Kromĕříž, das bis auf den heutigen Tag aufbewahrt wird und einen Schatz an unbekannter und noch nie veröffentlichter Musik enthält. Die mystische Motette NOBILISIME JESU für zwei Stimmen im Echo ist ebenso einfach wie kontemplativ und ist eigentlich eine Meditation über Ewigkeit und Unendlichkeit. Diese Idee der Ewigkeit und Unendlichkeit fand auch Heinrich Schütz sehr ansprechend. Er war kein Mystiker, aber er leistete seine Arbeit in der Überzeugung, daß (seine) Musik nur die Aufgabe hatte das Wort zu unterstützen, zu deuten, beseelen, vertiefen, verbreiten und erhöhen. Die freudvolle Weihnachtsmotette HEUTE IST CHRISTUS DER HERR GEBOREN (SWV 349) mit einem Text von Nicolaus Decius (1485-1541), von Schütz auf eine passende fröhliche Weise vertont, ist davon ein herrliches Beispiel. Drei Singstimmen die mit Koloraturverzierungen sozusagen vor Freude hin und her taumeln, um die gute Nachricht auszusingen: Jesus ist geboren! Das Hallelujah als wiederkehrende ultimative Bestätigung ist ein wahres Fest. Für diese Ausführung von zwei Sopranen und einer Alt wurde die Musik um einen Viertelton niedriger transponiert. Dies war sehr gebräuchlich in jener Zeit. Auch die 6-stimmige Motette ALLEIN GOTT IN DER HÖH SEI EHR von Michael Praetorius steht im sog. Chiavettesystem notiert und wird hier einen Viertelton niedriger gesungen. Die vorangehende Sinfonia steht in derselben Tonart. Es ist eine Choralbearbeitung über das Kirchenlied mit dem gleichen Namen von Nicolaus Decius , der sowohl den Text als auch die Musik schrieb. In dieser Bearbeitung von Praetorius steht der Choral im dreiteiligen Tempus Perfectum und dieser wird in einem sakralen und stattlichen Tempo gesungen, unterstützt von der majestätischen Kirchenorgel. Das bedeutet, daß die Motetten-Teile, die von den 6 Solisten gesungen werden, eine leichtfüßige Frische haben, die den Text auf wunderbare Weise unterstützt. Im Prinzip war der mittelalterliche Mensch ein Ewigkeitsmensch, sein Leben wurde geprägt vom Himmelverlangen. Er konnte schwerer umgehen mit dem Irdischen, dem Zeitlichen, mit der Vergänglichkeit. Das Leben in der Zeit war auch nicht einfach, der Tod war ja ein wiederkehrender Faktor im Alltag. Die Verbindung zwischen Himmel und Erde war darum viel selbstverständlicher und hatte einen größeren Wert als in der heutigen Zeit. Gerade die Musik stellte ein großer Sprung über den Tod dar, unmittelbar von der Erde zum Himmel. Petrus Hurtado (1620-1671) brachte diese Auffassung in seinem Weihnachtslied ILLIBATA TER BEATA überzeugend zum Ausdruck. Es stammt aus der Sammlung Cantiones nataliti. Diese Sammlung umfasst nicht-liturgische Weihnachtslieder, die aber während der Weihnachtszeit wohl in der Kirche gesungen wurden. Geschrieben als einfache Monodien (1 Singstimme und Basso continuo) konnte man diese Lieder auch verschönern durch das Hinzufügen von zusätzlichen Instrumenten, Ritornellen usw. Hier hören Sie außer Gesang und Orgelpositiv auch eine hinzugefügte Viola da gamba, einen Zink und eine Rahmentrommel. Das bekannte Gebet VATER UNSER IM HIMMELREICH wurde von Martin Luther verfasst. Die Melodie gab es wahrscheinlich schon länger. In dieser völlig instrumentalen Version klingt zuerst die bekannte vierstimmige Fassung von Hans Leo Hassler (1564-1612). Anschließend hören Sie zwei Variationen von Johann Ulrich Steigleder (1593 –1635) aus seinem Tabulaturbuch (1627). Diese Sammlung umfasst 40 Variationen über das Vaterunser für Kirchenorgel. In seinem Vorwort deutet Steigleder an, daß der Ausführende die freie Wahl habe, welche Variationen er spielen möchte und in welcher Reihenfolge. Auch könne man Instrumente oder Singstimmen hinzufügen. Variation 4 erhält mit 4 Violen da gamba einen ganz eigenen Klang, in dem die verschiedenen Melodielinien sich sehr schön hören lassen. Variation 14 benötigte eine verstärkte Baßlinie und das liebliche Flötenregister der Compenius-Orgelpositiv. Für den anschließenden letzten Teil kommen wir zurück zu den Gamben, die wiederum dem Zink sein virtuoses Improvisationsspiel ermöglichen, ganz im Sinne der damals hersschenden Mode. Die Grundlage für dieses Stück ist der sechste Teil der Choralbearbeitung von Jacob Praetorius (1586–1651) aus Hamburg, ursprünglich auch für Kirchenorgel geschrieben. Sie hören beim Zink Verzierungs- und Improvisationstechniken, die in überlieferten Traktaten aus dem 16. und 17. Jahrhundert beschrieben wurden. Tonleiter, Tremoli, Triller und Kadenzen im Dalla Casa-Stil mit Sextolen, die in eine komplette “Cadenza finale” von Francesco Rognoni (1570-1626) übergehen. Es ist ein schönes Beispiel von den damals gebräuchlichen ornamentalenTechniken, die von Italien aus über Musiker wie Michael Praetorius und Heinrich Schütz in den nordlichen Regionen bekannt wurden. Das QUEM PASTORES LAUDAVERE ist auch ein sehr altes lateinisches Weihnachtslied, das zum ersten Mal erscheint im Hohenfurt Manuskript (1410), das aufbewahrt wird in der Abtei von Hohenfurth (jetzt: Kloster Vyššy Brod) in Süd-Böhmen. Gegen die Mitte des 16. Jahrhunderts wurde es bekannt bei den deutschen Nachbarn durch eine deutsche Übersetzung und wurde es aufgenommen in den Gottesdiensten, die um Weihnachten stattfunden (Christmetten, Weihnachtsvespern oder die Gottesdienste am Christmorgen). Es ist bemerkenswert, daß dieses Lied sowohl bei den Lutheranern als auch bei den Katholiken sehr beliebt war und blieb. Bis auf den heutigen Tag gehört das “Quempas-Singen” zum deutschen und böhmischen Weihnachtsbrauchtum: Kinder und Erwachsene singen im Wechsel, in Kirchen und auf Straßen. Das Lied hat den einfachen rhetorischen Aufbau einer Erzählung, die dauernd von der Gemeinde bestätigt wird. Die Vertonung ist von Michael Praetorius und steht im Band Musae Sionae, hrsg. im Jahre 1607. Und daß Praetorius schöne Choralbearbeitungen komponierte, zeigt sich in der großen Menge von Liedern, die im Laufe der Jahrhunderte bekannt und geliebt wurden bei Vielen. Manche treten dabei deutlich hervor, und eines der bekanntesten Beispiele davon ist ES IST EIN ROS ENTSPRUNGEN,schlicht und wunderschön gestaltet nach einem anonymen Text, der sich auf Jesaja 11 bezieht. Die Rose ist aufgeblüht und dieses zauberhafte Lied voller Symbolik wird in aller Einfalt in einer Vertonung von Michael Praetorius für Sie gesungen. Auch WIE SCHÖN LEUCHTET DER MORGENSTERN ist ein kräftiges Lied voller Symbolik mit dem Morgenstern als Metapher für Christus. Der Text wurde verfasst von Philipp Nicolai (1556-1608) und Johann Herman Schein (1586-1630) vertonte das Lied für 4-stimmigen Chor. Die zwei Strophen des Chorals gehen nahtlos über in die Bearbeitung, die Michael Praetorius über dieses Lied komponierte. Solisten als Engel und die Tutti in einem Tripla mit Hinzufügung der Trommel: herrliche, vortreffliche Rhetorik! Martin Luther schrieb das Lied VOM HIMMELHOCH DA KOMM ICH HER für seine Kinder, in erster Instanz als Kontrafaktur zu einem damals beliebten Lied. Später komponierte er auch eine neue Melodie dazu und so wurde das Lied zu einem bekannten Kirchenlied. Der Text handelt über die Weihnachtsgeschichte und es wurde gesungen beim beliebten Krippenspiel. Das Orgelvorspiel stammt au seiner Sammlung Orgelbearbeitungen von verschiedenen Komponisten, die gefunden wurde in Clausthal-Zellerfeld. Es wurde anunym im band aufgenommen, aber es wurde Heinrich Scheidemann (595-1663) zugeschrieben. Sie hören Versus III und IV seiner Choralbearbeitung. Im vierten Teil imitieren Glöckchen die im 17. Jahrhundert gebräuchliche Zymbalstimme. Dies erzielt einen festlichen Effekt. Danach folgen vier Strophen in der Vertonung von Hans Leo Hassler (1564-1612).
Daß jahrhundertalte Melodien heutige Musiker noch immer inspirieren können, zeigt die Komposition VENI, VENI EMMANUEL, die Frank Wakelkamp (*1967) 2017 anfertigte. Es ist eine Kombination des alten Textes Libere me (aus dem 9. Jahrhundert, zum ersten Mal festgelegt in die Missale Romanum 1570) und einer lateinischen O-Antiphone (6. Jahrhundert, zum ersten Mal gefunden in einer Sammlung eines Hymnografen im Jahre 1610), die parafrasiert wurde zu Veni, veni Emmanuel. Das Besondere daran ist, daß die Melodie des erst viel später bekannten o come O come Emmanuel basiert auf der gregorianischen Melodie des Libera Me. Die Verbindung dieser zwei Melodien wurde erst 1966 entdeckt. Unser Gambist Frank Wakelkamp wurde hierdurch inspiriert. Er vereinigte eine alte zweistimmige Vertonung des Libera Me aus dem 15. Jahrhundert mit der späteren Veni-Variante. Das “Befreie mich, Herr”aus der Totenmesse wirdjejtzt gesungen im Licht des modernen Textes des Adventsliedes. Auf diese Weise wird das Erwartungsvolle der Advents- und Weihnachtszeit verbunden mit der Hoffnung auf das Ewige Leben, wie sie auch im Requiem besungen wird.